Forum Grisu 05

BETTMAR. Die Bilder verfolgen ihn bis in seine Träume: Der brennende Bus, die Hilferufe der Menschen – und die vielen Autofahrer, die vorbeifuhren und nichts taten. Nejat Üsküplü aus Bettmar rettete beim Busunglück auf der A 2 bei Garbsen drei Menschen das Leben.

Sie waren auf der Heimfahrt von einem Besuch bei Bekannten in Osnabrück. Nejats Frau Mevlüde fuhr den Wagen, er selbst saß auf dem Beifahrersitz, Sohn Bayram auf der Rückbank. Plötzlich rief der 17-Jährige von hinten: "Da brennt ein Bus". Tatsächlich: Auf dem Standstreifen stand ein Bus, aus dem hinteren Teil qualmte es, erste Flammen waren zu sehen. "Dann sahen wir, dass vor dem Bus jemand auf dem Boden lag", erzählt der 44-Jährige Vater. Sofort fuhren sie rechts ran, Nejat Üsküplü sprang aus dem Auto und spurtete zum Bus.

Während sein Sohn die Feuerwehr alarmierte, begriff Nejat Üsküplü: "Hier passiert gerade eine Katastrophe." Verwirrte Menschen taumelten ihm entgegen, zum Teil mit brennender Kleidung und verbrannter Haut. 20 Menschen fanden am 4. November auf der Autobahn 2 bei Garbsen den Tod. Sie verbrannten auf der Heimfahrt von einer Kaffeefahrt. Das Feuer war auf der Toilette ausgebrochen – die Ursache ist bis heute noch unklar.

Zwei Menschen schleppte Nejat Üsküplü allein aus dem Bus ins Freie. "Es machte Klick und ich dachte nur noch: Da musst du helfen, helfen, helfen. Es war wie ein Instinkt." Er holte sich Brandblasen an den Händen, bekam kaum noch Luft.

Als er merkte, wie ihn seine Kräfte verließen, rannte er auf die Autobahn, winkte und rief um Hilfe. Dutzende Autos und LKW fuhren vorbei. Niemand hielt. "Einige filmten und fotografierten den brennenden Bus aus dem Auto heraus. Aber sie fuhren um mich herum, einige hupten sogar", sagt Üsküplü. Ein Mann aus Berlin kam ihm schließlich zu Hilfe, gemeinsam bargen sie ein drittes Opfer.

Sein Sohn und seine Frau kümmerten sich derweil um die Überlebenden. "Ich redete ihnen beruhigend zu und passte auf, dass sie nicht auf die Autobahn liefen", so Bayram Üsküplü. Dabei hatte er große Angst um seinen Vater: "Ich sah die Stichflamme, hörte eine Explosion – und ich wusste nicht, was mit ihm war." Mehrfach habe er laut "Baba" gerufen, das türkische Wort für Papa.

Zwei Männer hielten und fragten den 17-Jährigen, ob die Feuerwehr schon alarmiert sei. Ja, rief er – und dass sein Vater Hilfe brauche. Aber die beiden stiegen wieder in ihren Wagen und fuhren davon. Am liebsten wäre Bayram zum Bus gelaufen, aber seine Mutter hielt ihn zurück. Dann entdeckten sie den Vater auf der Straße, bei dem Versuch, andere Autos zu stoppen. Kurz darauf trafen die Rettungskräfte ein, schickten den Bettmarer zurück zu seiner Familie: Er war schwarz vor Ruß, Tränen liefen ihm über das Gesicht. "Ich bin nur froh, dass mein Sohn die schrecklichen Dinge im Bus nicht gesehen hat. Das hätte er vielleicht nicht verkraftet", sagt sein Vater rückblickend. Er selbst kann seit zwei Wochen kaum an etwas anderes denken und will nun Hilfe bei einem Psychologen suchen.

Sobald es den Geretteten besser geht, will er Kontakt mit ihnen aufnehmen. Zahlreiche Medien haben über ihn und seinen Sohn berichtet. Bayram, der die Hauptschule in Vechelde besucht, sagt: "Wir wollen nicht, dass man uns als Helden darstellt. Dass man hilft, müsste doch eine Selbstverständlichkeit sein."